ZWISCHEN DIAGNOSTIK UND INTUITION - SCHWANGERSCHAFT UND GEBURT MIT PAULINA

 

Paulina ist Hebamme und Yogalehrerin und arbeitet in einem Geburtshaus. Ein Geburtshaus ist eine hebammengeleitete Einrichtung, in der Menschen während der Schwangerschaft, Geburt und dem Wochenbett begleitet werden. Wir haben uns in München auf einen Matcha getroffen und über Paulinas Erfahrungen als Hebamme, Hoffnungen und Herzensthemen gesprochen und wie diese ihr Weltbild prägen. Viel Spaß beim Eintauchen!

 
 

Für alle, die dich noch nicht kennen - Wer bist du, was bewegt dich und was macht dich als Menschen aus?

Ich bin Paulina und als Beruf habe ich den Weg der Hebamme gewählt. Das, was mich am meisten bewegt, ist das Thema Gesundheit. Wie kann man Gesundheit fördern und gleichzeitig die Gesundheit, die schon da ist, aufrecht erhalten? Mich bewegt, welchen Themen Schwangere und Paare in dieser Zeit der Schwangerschaft und Geburt begegnen. Ich habe das Gefühl, diese Themen haben etwas total gesellschaftliches und kollektives. Meiner Erfahrung nach kann man da sehr gut vorarbeiten.

Ein weiteres Thema, das mich bewegt, ist „men vs. mashine“, also Intuition vs. Diagnostik, auch in Bezug auf Selbstbestimmung und Gesundheitsförderung. Das beschäftigt mich auch über meinen Beruf hinaus.

Du hast in einem anderen Interview erzählt, dass nur Menschen mit Uterus schwanger werden können und dass allein diese Tatsache Besonderheiten mit sich bringt. Was sind deine favourite Uterus facts?

Eines der Dinge, die ich am besondersten finde, ist dieser naturgegebene zyklische Rhythmus, der Menschen mit Uterus taktet. Hier sehe ich total viel Potential, wenn Rituale und Rhythmen uns Sicherheit geben.

Das andere ist diese Fähigkeit, etwas in sich aufzunehmen, das nicht zu einem selbst gehört. Eigentlich stoßen wir alles ab, was nicht zu uns gehört. Aber der Uterus nimmt das Spermium auf und lässt es in sich wachsen. Das ist magisch. So wirklich etwas aufzunehmen und eins zu werden mit etwas, das nicht ich bin - und ich werde das trotzdem.

Kannst du uns kurz mit in den Prozess von Schwangerschaft, Geburt und - darüber wird selten geredet - die Zeit danach nehmen?

Ich glaube, jede Schwangere sagt einmal zu mir: “Ich bin so froh, dass eine Schwangerschaft 9 Monate geht”, weil das so wichtig ist, diese Zeit zu haben.

Eine Schwangerschaft hat im Schnitt 40 Wochen, 280 Tage. Sie beginnt mit genau dieser Aufnahme von dem Spermium im Uterus. Damit startet eine richtig kraftvolle, aber im Verborgenen kraftvolle Zeit. Normalerweise können wir alles sehen, hören und zugänglich machen, was wir wollen. Deswegen erlebe ich diese Zeit als so fordernd für Paare - weil sie die Veränderungen dieser Zeit nicht sehen und nicht hören können, außer durch den Ultraschall.

Ich habe mal nachgetöpfert, was für Zellteilungen in dieser Phase stattfinden und es ist so krass, was für Kräfte da arbeiten. Das habe ich so stark gespürt. Ich dachte nur - natürlich muss man da 12 Stunden am Tag schlafen, ich glaube, sonst kann man das garnicht aushalten, was da alles passiert.

Wenn diese Zeit vorbei ist, wird der Bauch langsam sichtbar, die Gebärmutter und das Baby wachsen. Damit beginnt eine Zeit von Wohlfühlen. Die Bauchdecke ist schon leicht geöffnet, aber noch nicht so weit, dass es schmerzhaft ist. Das Baby bewegt sich, aber nicht so kräftig, dass es in den Rippenbögen oder auf der Blase unangenehm ist. Da geht es ganz viel um Reifen, Wachsen und um eine Prägung.

Im letzten Drittel gibt das Kind den Startschuss für die Geburt. Die schwangere Person hat darauf nur wenig Einfluss, was richtig schwer auszuhalten sein kann. Dann ist das Baby da und alles, was ich eben beschrieben habe, findet nochmal rückwärts statt. Erst ist es alles total neu, dieser Mensch muss völlig neu kennengelernt werden, der Körper ist noch sehr offen, die Bauchdecke ist offen, der Beckenboden ist belastet. Die Beziehung bildet sich.

Irgendwann hat sich alles ein bisschen eingespielt. Die Nahrung des Kindes ist geregelt, der Körper ist wieder mehr wie der vor der Schwangerschaft. Die Partnerschaft orientiert sich neu. Themen kommen hoch, die davor im Verborgenen waren. Es braucht wieder eine ganze Weile, bis sich das, was sich während der Schwangerschaft und Geburt im Körper gebildet hat, wieder zurückbildet, wenn es sich überhaupt komplett zurückbildet. Meistens passiert das nicht zu 100% und das ist ja auch nicht gewollt. Das gehört ja dann zu der eigenen Biografie dazu.

Die UNESCO hat 2016 das Hebammenwesen zu immateriellem Kulturerbe anerkannt. Was für eine Bedeutung hat das für dich persönlich und für deine Berufspraxis?

Das Hebammenwesen ist ein sehr traditioneller Beruf. Ich merke, wie sehr mich ältere Hebammen prägen - Hebammen, die ich nie kennengelernt habe, von denen ich nur gelesen oder gehört habe.

Gleichzeitig denke ich an die Zeit, in der Schwangerschaftsabbrüche nicht erlaubt waren. Damals haben das Hebammen übernommen und es gab ihnen gegenüber viel Schuld und Vorwurf. In der Geschichte des Hebammenwesens ist viel Weisheit zur Gesundheit von Schwangeren verankert, aber eben auch Verbrechen passiert.

Es macht für mich oft den Anschein, dass nur das, was schwarz auf weiß bewiesen oder sichtbar ist, wirklich gewürdigt wird. Die Anerkennung von der UNESCO zeigt mir, dass diese Arbeit zwischen den Zeilen, die eine Hebamme leistet, gewürdigt wird. Mich hat das so berührt, weil ich das sehr besonders finde.

Auch in der Gesellschaft sehe ich dafür einen Wert. Hebammen sind eine kleine Berufsgruppe und diese Anerkennung hat über unsere Berufsgruppe hinaus die Bedeutung, dass nicht nur diese greifbaren Dinge Wert bekommen, sondern auch das, was nicht so greifbar, nicht materiell und nicht zu kaufen ist. Dieses Wissen kann ich mir nicht einfach so beschaffen. Diese Tradition kann man erleben und muss man durchleben. Mit dieser Wertschätzung wird das bei anderen vielleicht auch ein bisschen anders.

Zwischen den Zeilen spielt auch Paulinas Verbindung von Yoga mit Schwangerschaft und Geburt eine große Rolle. Im weiteren Verlauf haben wir darüber gesprochen, wie Yoga Paulinas Wahrnehmung von Schwangerschaft und Geburt prägt und umgekehrt. Sie teilt Erfahrungen und Einblicke in die Fusion dieser beiden Traditionen sowie Learnings für ihr eigenes Leben. Mehr dazu kannst du in einer Woche in dem Folgeartikel lesen.

 
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